In puncto Lohn einigen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber ohne Intervention des Staats – so lautet der Grundsatz der Tarifautonomie. Der wurde jetzt gebrochen, zugunsten reeller Chancen im Kampf gegen das Schreckgespenst „Fachkräftemangel“. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte mit ihrem Gesetzesentwurf ein Lockmittel für die wählerische Jugend im Sinn – und trat eine Lawine des Protests los.

Ausblutender Osten

Eine Mindestvergütung würde potentielle Fachkräfte verjagen, fürchtet der Zentralverband des Deutschen Handwerks – denn im schlimmsten Fall könnte die Mehrzahl aller Klein- und Kleinstbetriebe in strukturschwachen Regionen eine solche Ausbildung nicht mehr finanzieren. Das Ost-West-Gefälle nähme zu, bald arbeiteten nur noch Menschen mit altersgebeugtem Kreuz an ostdeutschen Werkbänken. Ein düsteres, leider realistisches Bild: im Zeitalter des demographischen Wandels ist existenzentscheidend, heute zu wissen, wen man übermorgen (noch) einstellen kann.

Szenarien

Bei allen Unkenrufen – dass bestehende Ausbildungsbeträge von der neuen Regelung unberührt bleiben, würdigte das ZDH. Allerdings hat das Bundesministerium für Berufsbildung (BiBB) festgestellt, dass Lehrlingsgehälter seit der Akutwerdung des Fachkräftemangels sukzessive und in großzügigen Schritten klettern – verglichen mit der Mindestvergütung die teurere Variante (zur Studie). Eine Mindestausbildungsvergütung vermag ein Mindestmaß an Absicherung schaffen, wo es bisher keine gab, findet der Deutsche Gewerkschaftsbund.

Sicher ist: Der Trend zur höheren Vergütung wird populär – bestausgebildete Schulabgänger können sich heutzutage entscheiden, in welcher Himmelsrichtung die Zukunft am rosigsten leuchtet.

Viele Handwerksbetriebe fürchten, mit diesem jüngsten Schritt durch „Vater Staat“ sei die berüchtigte Büchse der Pandora geöffnet worden. Wer den griechischen Mythos kennt, der weiß allerdings, dass dem unheiligen Behältnis auch die Hoffnung entschlüpfte.

Ausführliche Infos und Meinungen:

Bundeskabinett beschließt Azubi-Mindestvergütung (DHZ, 15.05.2019)

Azubi-Mindestvergütung: Umstritten und entgegen der Tarifautonomie DHZ, 13.05.2019)